Die Schriftstellerin Kristiane Kondrat wurde 1938 in Reschitza geboren und hat wie so viele ihrer Landsleute als 35-Jährige ihre Heimat verlassen und sich in München niedergelassen. 1997 hat sie den Roman Abstufung dreier Nuancen von Grau im Stuttgarter Quell Verlag veröffentlicht, in dem sie laut literaturportal.de Teile ihrer noch in Rumänien entstandenen „Schubladenliteratur“ verarbeitet.
Auch der Kunstgriff, der dieses Buch von so manchen anderen Erinnerungsbüchern unterscheidet, wird hier angedeutet: die Sichtweise eines Kindes. Sie nicht zu verlassen, um dem analytischen Blick der Erwachsenen zu frönen, ist eigentlich die in diesem Buch spürbare Kunst des Schreibens. In 16 Erzählungen gelingt es Kristiane Kondrat (bürgerlicher Name: Aloisie Bohn), stoisch auf den Wegen ihrer Kindheit zu wandern, und zwar so, dass man den Eindruck hat, von einem kleinen Mädchen an der Hand genommen und durchs Domaner Tal geführt zu werden, bis hinauf auf den Hätschelberg, „ein Berg von Hagebuttensträuchern umwuchert, der Ort, wo sie alle friedlich nebeneinander liegen, die alten Sozialdemokraten und ihre gutkatholischen Ehefrauen“.
Das eine ist die Umgebung, das andere das in sie Hineingeborenwerden. Am Anfang eines langen Winters war es für die Ich-Erzählerin soweit. Dieses Zur-Welt-Kommen mutet an wie ein leichtes, kindliches Hüpfspiel: zwei, drei Sprünge vor, dann wieder einer zurück. Wirklich geboren wird erst zum Schluss, und das „viel zu früh“, aber immerhin an „einem Sonntag“. Und es war bald Krieg mit all seinen verstörenden und doch als normal empfundenen Auswirkungen auf Kinderseelen. Um einiges schlimmer war es in jenen Jahren um die Erwachsenen bestellt. Obwohl das Madl „an einem Sonntag geboren“ ward, sah ihr Vater sie an, „wandte sich dann enttäuscht ab und blieb zehn Jahre lang abgewandt: Er hatte sich einen Sohn gewünscht.“
Leben und Tod. Letzterer ist mit Kinderaugen gesehen viel erträglicher, als unsereins ihn wahrnimmt. „Jene, die für immer gingen, flüchteten sich in den Hätschelberg, und ihren Seelen wurde je eine Wolke als Bleibe zugewiesen. Großvaters Wolke kannte ich, sie war ganz weiß, kam immer wieder im Frühjahr und stand den ganzen Sommer über unserem Garten."
Aber schon in der folgenden Erzählung sucht die Kinderfantasie – und jetzt die Erinnerung – schon fast krampfhaft Halt in einer Gegenstandsdominanz. Anders war der Untergang einer Welt und das Werden einer neuen an ihrer statt von einem Kinderköpfchen wohl schwer zu verarbeiten gewesen. In der Erzählung Die Lehmmenschen heißt es signifikant: „Alle, die ich in meiner frühesten Kindheit gekannt hatte, waren aus Holz geschnitzt: die Eltern, Tanten, Onkel, Großonkel, Großtanten, … […] Die Lehmmenschen sprachen eine Sprache, die, meinem Empfinden nach, nur noch wenig Ähnlichkeit hatte mit der ‚unserer‘ rumänischen Bauern. Sie hörte sich an wie ein strudelnder, breiter gelber Strom, der die Ufer überschwemmt. Vielleicht hat damals, mit diesem Strom, mit jenen unseligen Umsiedlungen und Verpflanzungen der Untergang unseres Städtchens begonnen.“
Und dieses Städtchen heißt heute noch Reschitza (rum.: Reșița). Warum sein Name in diesem Buch nicht zu finden ist, mag etwas mit der Gegenstandslosigkeit von Fantasie in Kinderköpfen – nicht Kindsköpfen! - zu tun haben und speziell auf Vogelkirschen bezogen mit einer sehr ansprechenden kindlichen – nicht kindischen! - Sprache. Für mich war dieses Buch eine Bereicherung. Dazu trugen sogar einige in den Texten verstreut auftauchende Wörter bei: Hätschel, Schmalzbrot, Zichorie-Kaffee, kraxeln, Krumbiern u.v.a.
Anton Potche
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