Thea Dorn & Richard Wagner:
Die deutsche Seele; Albrecht Knaus Verlag, München, 2011; ISBN
978-3-8135-0451-4; 560 Seiten, Hardcover; € 38,00 [D], €
40,10 [A], CHF 51,50 [CH]; www.knaus-verlag.de;
www.deutsche-seele.de.
Es gibt vielbesprochene Bücher,
wenig besprochene und überhaupt nicht besprochene. Die vorliegende
Textsammlung wurde reichlich rezensiert und das nicht nur im
gedruckten Feuilleton. Auch die Internetgemeinde bei Amazon hat sich
des Buches angenommen. 24 Rezensenten haben es besprochen und von
einem bis zu fünf Sternen vergeben. Die deutsche Lesegemeinschaft
hat das Erscheinen der „deutschen Seele“ also sehr wohl
registriert, damals im Herbst 2011.
Was sie aber wirklich ist, diese
deutsche Seele, klären weder Thea Dorn noch Richard Wagner
auf. Das war wohl auch gar nicht Zweck der Sache. Es sollte eher ein
kulturgeschichtlicher Ausflug, aber ohne wissenschaftliche
Gelehrsamkeit, durch das Universum deutscher Befindlichkeiten sein.
Und das ist ihnen auf jeden Fall gelungen; natürlich nicht zur
Zufriedenheit aller Leser. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen,
denn nichts ist vielschichtiger als die menschliche Wahrnehmung. Die
Beweggründe Thea Dorns und Richard Wagners, ein
solches Buchprojekt zu bewerkstelligen, klingt so: „Wir sind keine
Pathologen – wir sind Beteiligte. Getrieben von der Sehnsucht, die
Kultur, in der wir in all ihren Tiefen und Untiefen, in ihrer Größe
und Schönheit, in ihren Schrullen und Fragwürdigkeiten zu
erkunden.“ Es ist schon mal eine gute Idee, ein
solches Buch zu zweit zu schreiben. Jeder für sich natürlich, mit
eigenem Stil und eigener Sichtweise. Vereint zwischen Buchdeckeln
ergänzen sie sich hervorragend. Wer eigentlich mit mehr Texten dazu
beigetragen hat? Wenn ich mich nicht verzählt habe, liegt Thea
Dorn mit zwei Texten vorne. Zur Ausgewogenheit „der deutschen
Seele“ tragen also nicht so sehr die Quantität bei, sondern vor
allem die Qualität und der inhaltliche Reichtum der 64 Essays.
Aber natürlich gibt es auch
Unterschiede in der Form und dem Tiefgang der Texte. Thea Dorn
neigt ein bisschen zu einer romantischen Herangehensweise. Da
schwingt viel Gefühl mit. Wen wunderts? Im letzten Text des Buches
entblößt sie sich förmlich und lässt uns (spätestens jetzt) die
Grundfärbung ihrer Haltung verstehen: „Lasst mir meine
Zerrissenheit. Sie ist das Beste, was ich habe.“ Das tun wir gerne
– zumindest ich.
Richard Wagners Essays
klingen geerdeter, aber sprachlich nicht weniger brillant. Und in
manchen Texten spürt man einen leichten Spott mitschwingen, so nach
dem Motto: Leute, nimmt doch nicht alles so tragisch. Sollte der
Unterschied vielleicht sogar in der Biografie der zwei Seelenforscher
liegen?
Merkwürdig: Dem Band sind
Kurzbiografien weder vor noch nachgestellt. Nur ein Klappentext weist
darauf hin, dass Thea Dorn (*1970) eine binnendeutsche
Biografie vorzuweisen hat, während Richard Wagner (*1952) aus
einer katholischen Diaspora in Südosteuropa – man könnte es auch
als (zumindest teilweise) deutsche Enklave bezeichnen - in den
deutschen Literaturbetrieb eingeschneit ist. Seine Sozialisierung in
Deutschland verlief Hand in Hand mit einer Endtraumatisierung.
Natürlich ergibt das zwei so unterschiedliche Blickwinkel auf die
deutsche Seele, wie sie eigentlich unterschiedlicher gar nicht sein
können.
Das Resultat ist ein
herzerfrischendes Buch über die Deutschen, ihr Abendbrot,
ihre Abendstille, aber auch ihren Abgrund – laut
Heine eine „biedere Senke, die sich jedoch ertragen
lässt, wenn man eine Vergangenheit hat, von der man erzählen kann,
>denn die Vergangenheit ist die eigentliche Heimat [der] Seele<
-, ihre Arbeitswut, bis hin zum Reinheitsgebot, zu
Winnetou – nach Wagner „eine der populärsten
Figuren der deutschen Kulturgeschichte“ und natürlich der Wurst.
Sollte mich irgendwann mal jemand
fragen, was diese Deutschen denn so für Menschen sind, dann werde
ich ihm dieses Buch empfehlen, denn es kommt aus ohne jedweden
ermüdenden Tiefgang, aber auch ohne Spur von Oberflächlichkeit.
Der Leser kann sich dann auch in Wort und Bild – der Band ist reich
und sehr gut bebildert – selbst einen Reim auf die nie zur Genüge
beantwortbare Frage nach der deutschen Seele machen.
Anton
Potche
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