Montag, 11. Juli 2022

Rumänische Künstler im KOG

So wie jeder Fußballer in einem Bundesligastadion spielen will, so träumt jeder Künstler davon, seine Werke in einem Museum zur Schau gestellt zu bekommen. Vielen der Letzteren widerfährt diese Ehre aber erst post mortem. Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie (KOG) in Regensburg ist eine dieser Kunststätten, in denen Werke ehemaliger und jetziger Größen der Kunst zu bewundern, bestaunen oder abzulehnen sind. Alle diese Arbeiten aus mehr als zwei Jahrhunderten, von der Romantik bis in unsere Tage haben eine gemeinsame Komponente: Ihre Schöpfer kommen aus dem Osten. Konkret ist laut einem Präsentationsfaltblatt des KOG gemeint, dass bei den Ausstellungsstücken dieses Museums „das künstlerische Schaffen mit historischen, biografischen und inhaltlichen Bezügen zu den ehemals deutsch geprägten Kulturräumen im östlichen Europa im Mittelpunkt steht“.

Drei Grazien
Fotos: Anton Potche
Als namhaftesten Künstler der Dauerausstellung des Kunstforums darf man zweifellos Lovis Corinth bezeichnen. Der Begleittext zu seinem 1904 gemalten Bild „Drei Grazien“ ist ein beeindruckendes Beispiel deutscher Kunstgeschichte mit all ihren bis in unsere Tage nachwirkenden Komplikationen: „Das Gemälde ist eng verbunden mit dem tragischen Schicksal der jüdischen Familie Levy und ihrer Kunstsammlung während des Nationalsozialismus. […] Am 21. August 2014 gelangte die Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz zu dem Sachverhalt, dass das Bild der Erbengemeinschaft von Clara Levy nicht verfolgungsbedingt verloren gegangen ist.“ 1950 schließlich kam das Gemälde über die Städte Berlin, New York, Luzern und Bern in die Bayerische Staatsgemäldesammlungen nach München. Jetzt kann es in Regensburg betrachtet werden. Lovis Corinth, der bedeutende deutsche Impressionist, musste nicht mehr erleben, wie die Nazis seine Kunst als „entartet“ brandmarkten. Der 1858 in Tapiau geborene Ostpreuße ist 1925 im holländischen Zandvoort gestorben.

Das Palindromische
Bankett
Man begegnet beim Schreiten durch die Ausstellungsräume Künstlern wie Bernhard Heisig (1925 – 2011), Wolf Röhricht (1886 – 1953), Eugen Spiro (1874 – 1972) u.v.a. Aber auch einer großflächigen Landkarte mit Gebietsbezeichnungen wie West- und Ostpreußen, Pommern, Nieder- und Oberschlesien, Mähren, Böhmen, Zips, Bukowina und Siebenbürgen. Banat? Fehlanzeige. Meine Sinne blieben trotzdem geschärft. Man weiß ja nie. Und siehe da. Galatz. Walachei. Was da an der Wand hängt ist das nicht gerade appetitliche „Palindromische Bankett“. Angefertigt hat es der 1930 in Galatz / Rumänien geborene Objektkünstler Daniel Spoerri. Interessant. Ein Palindrom ist ein Wort das sowohl vorwärts als auch rückwärts gelesen den gleichen Sinn ergibt. Anna zum Beispiel oder Bub u.s.w. Der Schweizer Maler, Zeichner und Dichter Andrè Thomkins (1930 – 1985) war ein Freund von Spoerri und benutzte in seinen Gedichten gerne Palindrome. So etwas hat der Rumäne 2002 in der Ostdeutschen Galerie mit einem Essen inszeniert, also sagen wir mal, von der Torte zur Suppe. Was er mit dem Übriggebliebenen gemacht hat, nennt sich eine „Assemblage auf Leinentuch mit Digitaldruck auf Holzplatte aufgezogen“ mit eben dem Titel „Das Palindromische Bankett“. Auch dafür hat Daniel Spoerri 2016 den Lovis-Corinth-Preis bekommen. 

Akte am Strand
Einen Landsmann Spoerris gibt es auch noch zu entdecken: Arthur Aron Segal, 1875 in Jassy (Iași) geboren und 1944 in London während eines Luftangriffs an Herzversagen gestorben. Der rumänische Künstler, der die meiste Zeit seines Lebens in Berlin verbracht hat, schrieb Kunstgeschichte. Ihm schreibt man die Entwicklung der Rasterbilder zu. Bei Wikipedia kann man lesen: „Zwischen 1914 und 1920 entwickelte Segal das Prinzip der Gleichwertigkeit, bei dem er seinen Gegenständen und Figuren in einem auf das Bild gelegten Raster aus Rechtecken die gleiche Bedeutung zukommen ließ.“ Was dabei herauskam, ist in Regensburg zu sehen. „Akte am Strand, 1920, Öl auf Leinwand und auf Holz (Rahmen)“ heißt das Kunstwerk. 

Pawel Althamer:
Self-Portrait
(Sorcerer), 2009
Bis zum 11. September 2022 kann man auch eine Sonderausstellung mit Arbeiten von Paweł Althamer (*1967) besichtigen. Der polnische Bildhauer, Performance-, Video- und Objektkünstler hat den Lovis-Corinth-Preis 2022 bekommen. In einem Faltblatt zur Sonderausstellung heißt es: „Der polnische Künstler fasziniert international mit Werken, die den herkömmlichen Kunstbegriff erweitern.“ Wie wahr. Nur über Politik lässt es sich besser streiten als über Kunst. Gustos und Ohrfeigen sind verschieden, pflegte ein Bekannter aus meiner Jugendzeit zu sagen. Auch im Falle Althamer hilft nur eins: Die Ausstellung besuchen.

Käthe Kollwitz:
Selbstportrait 
Was könnte man als krönenden Abschluss eines Besuches im Kunstforum Ostdeutsche Galerie zu Regensburg empfinden? Angeboten wird ein verdunkelter Raum mit einer Auswahl von Werken der Künstlerin Käthe Kollwitz. Sie erblickte 1867 in Königsberg das Licht der Welt und schloss die Augen für immer 1945 in Moritzburg bei Dresden. Wir reden hier wirklich von einer der größten deutschen Künstlerinnen überhaupt. Man kann sich der Herstellerin von Radierungen, Lithografien, Holzschnitten, Zeichnungen und Plastiken schon wegen ihrer sozialen Ader, die sie vollumfänglich in ihrem Werk ausgelebt hat, nicht verschließen. Ihre Zyklen „Ein Weberaufstand“ (Radierungen) „Bauernkrieg“ (Druckgraphik) und „Krieg“, „Proletariat“, „Tod“ und „Kinderhunger“ sprechen eine eindeutige Sprache. Weltberühmt und zeitlos – das führt uns die Gegenwart leider täglich vor Augen – sind ihre Skulpturen. Besonders Werke wie „Trauerndes Elternpaar“, „Mutter mit totem Sohn“ oder „Mutter mit zwei Kindern“ sind Zeiten und Zeitenwenden überdauernde Plastiken. Ach, ich weiß nicht, irgendwie hatte ich den Eindruck, gerade in diesem so traurig stimmenden Raum am längsten verweilt zu haben.

Aber weil das Leben nun mal weitergehen muss, trotz allen Schmerzes und Leids, schritten wir, meine Frau und ich, hinaus ins Licht und hinein in die UNESCO-Welterbe-Zone, sprich Altstadt von Regensburg. Dort gibt es weiß Gott auch genug zu sehen.

Anton Potche


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