So wie jeder Fußballer in einem
Bundesligastadion spielen will, so träumt jeder Künstler davon,
seine Werke in einem Museum zur Schau gestellt zu bekommen. Vielen
der Letzteren widerfährt diese Ehre aber erst post mortem. Das
Kunstforum Ostdeutsche Galerie (KOG) in Regensburg ist eine dieser
Kunststätten, in denen Werke ehemaliger und jetziger Größen der
Kunst zu bewundern, bestaunen oder abzulehnen sind. Alle diese
Arbeiten aus mehr als zwei Jahrhunderten, von der Romantik bis in
unsere Tage haben eine gemeinsame Komponente: Ihre Schöpfer kommen
aus dem Osten. Konkret ist laut einem Präsentationsfaltblatt des KOG
gemeint, dass bei den Ausstellungsstücken dieses Museums „das
künstlerische Schaffen mit historischen, biografischen und
inhaltlichen Bezügen zu den ehemals deutsch geprägten Kulturräumen
im östlichen Europa im Mittelpunkt steht“.
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Drei Grazien
Fotos: Anton Potche |
Als namhaftesten Künstler der
Dauerausstellung des Kunstforums darf man zweifellos Lovis Corinth
bezeichnen. Der Begleittext zu seinem 1904 gemalten Bild „Drei
Grazien“ ist ein beeindruckendes Beispiel deutscher Kunstgeschichte
mit all ihren bis in unsere Tage nachwirkenden Komplikationen: „Das
Gemälde ist eng verbunden mit dem tragischen Schicksal der jüdischen
Familie Levy und ihrer Kunstsammlung während des
Nationalsozialismus. […] Am 21. August 2014 gelangte die Beratende
Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener
Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz
zu dem Sachverhalt, dass das Bild der Erbengemeinschaft von Clara
Levy nicht verfolgungsbedingt verloren gegangen ist.“ 1950
schließlich kam das Gemälde über die Städte Berlin, New
York, Luzern und Bern in die Bayerische Staatsgemäldesammlungen nach
München. Jetzt kann es in Regensburg betrachtet werden. Lovis
Corinth, der bedeutende
deutsche Impressionist, musste nicht mehr erleben, wie die Nazis seine
Kunst als „entartet“
brandmarkten. Der 1858 in Tapiau geborene Ostpreuße ist 1925 im
holländischen Zandvoort gestorben.
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Das Palindromische Bankett |
Man
begegnet beim Schreiten durch die Ausstellungsräume Künstlern wie
Bernhard Heisig
(1925 – 2011), Wolf
Röhricht (1886 –
1953), Eugen Spiro (1874
– 1972) u.v.a. Aber auch
einer großflächigen Landkarte mit Gebietsbezeichnungen wie West-
und Ostpreußen, Pommern, Nieder- und Oberschlesien, Mähren, Böhmen,
Zips, Bukowina und
Siebenbürgen. Banat? Fehlanzeige. Meine Sinne blieben trotzdem
geschärft. Man weiß ja nie. Und siehe da. Galatz. Walachei. Was da
an der Wand hängt ist das nicht gerade appetitliche „Palindromische
Bankett“. Angefertigt hat es der 1930 in Galatz / Rumänien
geborene Objektkünstler
Daniel Spoerri.
Interessant. Ein Palindrom ist ein Wort das sowohl vorwärts als auch
rückwärts gelesen den gleichen Sinn ergibt. Anna zum Beispiel oder
Bub u.s.w. Der Schweizer
Maler, Zeichner und Dichter Andrè
Thomkins (1930 – 1985)
war ein Freund von Spoerri
und benutzte in seinen Gedichten gerne Palindrome. So etwas hat der
Rumäne 2002 in der Ostdeutschen Galerie mit einem Essen
inszeniert, also sagen wir mal, von der Torte zur Suppe. Was er mit
dem Übriggebliebenen gemacht hat, nennt sich eine „Assemblage auf
Leinentuch
mit Digitaldruck auf
Holzplatte aufgezogen“ mit eben dem Titel
„Das Palindromische Bankett“. Auch dafür hat Daniel
Spoerri 2016 den
Lovis-Corinth-Preis bekommen.
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Akte am Strand |
Einen Landsmann Spoerris
gibt es auch noch zu entdecken: Arthur
Aron Segal, 1875 in Jassy
(Iași)
geboren und 1944 in London während eines Luftangriffs an
Herzversagen gestorben. Der rumänische Künstler, der die meiste
Zeit seines Lebens in Berlin verbracht hat, schrieb Kunstgeschichte.
Ihm schreibt man die
Entwicklung der Rasterbilder zu. Bei Wikipedia kann man lesen:
„Zwischen 1914 und 1920 entwickelte Segal das Prinzip der
Gleichwertigkeit, bei dem er seinen Gegenständen und Figuren in
einem auf das Bild gelegten Raster aus Rechtecken die gleiche
Bedeutung zukommen ließ.“ Was
dabei herauskam, ist in Regensburg zu sehen. „Akte am Strand,
1920, Öl auf Leinwand und auf Holz (Rahmen)“ heißt das Kunstwerk. |
Pawel Althamer: Self-Portrait (Sorcerer), 2009 |
Bis
zum 11. September 2022 kann man auch eine Sonderausstellung mit
Arbeiten von Paweł
Althamer
(*1967)
besichtigen.
Der
polnische Bildhauer, Performance-, Video- und Objektkünstler hat den
Lovis-Corinth-Preis 2022 bekommen. In einem Faltblatt zur
Sonderausstellung heißt es: „Der polnische Künstler fasziniert
international mit Werken,
die den herkömmlichen Kunstbegriff erweitern.“ Wie wahr. Nur über
Politik lässt es sich besser streiten als über Kunst. Gustos
und Ohrfeigen sind verschieden, pflegte
ein Bekannter aus meiner Jugendzeit zu sagen. Auch im Falle Althamer
hilft nur eins: Die Ausstellung besuchen. |
Käthe Kollwitz: Selbstportrait |
Was
könnte man als krönenden Abschluss eines Besuches im Kunstforum
Ostdeutsche Galerie zu Regensburg empfinden? Angeboten wird ein
verdunkelter Raum mit einer Auswahl von Werken der Künstlerin Käthe
Kollwitz.
Sie
erblickte 1867 in Königsberg das Licht der Welt und schloss die
Augen für immer 1945 in Moritzburg bei Dresden. Wir reden hier
wirklich von einer der größten deutschen Künstlerinnen überhaupt.
Man
kann sich der Herstellerin von Radierungen, Lithografien,
Holzschnitten,
Zeichnungen und Plastiken schon wegen
ihrer
sozialen Ader, die sie vollumfänglich in ihrem Werk ausgelebt hat,
nicht verschließen. Ihre Zyklen „Ein Weberaufstand“
(Radierungen) „Bauernkrieg“ (Druckgraphik) und
„Krieg“, „Proletariat“, „Tod“ und „Kinderhunger“
sprechen
eine eindeutige Sprache. Weltberühmt und zeitlos – das führt uns
die Gegenwart leider täglich vor Augen – sind ihre Skulpturen.
Besonders Werke wie „Trauerndes
Elternpaar“, „Mutter mit totem Sohn“ oder „Mutter mit zwei
Kindern“ sind Zeiten und Zeitenwenden überdauernde Plastiken. Ach,
ich weiß nicht, irgendwie hatte ich den Eindruck, gerade in diesem
so traurig stimmenden Raum am längsten verweilt zu haben.
Aber
weil das Leben nun mal weitergehen muss, trotz allen Schmerzes
und Leids, schritten wir, meine Frau und ich, hinaus ins Licht
und hinein in die UNESCO-Welterbe-Zone, sprich
Altstadt von Regensburg. Dort gibt es weiß Gott auch genug zu sehen.
Anton Potche
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