Montag, 5. September 2022

Des Alleinunterhalters Lieder

Mir ist kürzlich ein Satz von Marcus Axt, das ist der Intendant der Bamberger Symphoniker, unter die Augen gekommen: „Es geht um das Heimatgefühl, die böhmische, die mitteleuropäische Tradition. Wir spielen die Werke von Brahms, Dvořák und Bruckner auf einzigartige Weise.“

Das Wesen der Musik liegt in seiner Universalität und gleichermaßen in seiner Einzigartigkeit. Klingt nach Widerspruch – ist es aber nicht. Seit paar Wochen liegt in meinem CD-Ständer eine Scheibe mit dem Titel Meine schönsten Lieder. Zu den Komponisten, die diese Lieder geschrieben haben, zählen Josef Augustin, Jaroslav Jankovek, Vaclav Kautsky und einige mehr. Alle Stücke vermitteln ein
„Heimatgefühl, [und teilweise auch] die böhmische, die mitteleuropäische Tradition“. So wie das „Heimatgefühl“ der Symphoniker aus Bamberg ihrer Vertreibungsgeschichte aus der Tschechei geschuldet ist, so ist das „Heimatgefühl“ der Adressaten dieser CD der Aussiedlungsgeschichte ihrer Volksgruppe zu verdanken. Oder anders gesagt: Der Alleinunterhalter
Horst Reiter hat auf dieser CD Stücke eingespielt, die seine Kundschaft – wie er selber sagt, im Alter zwischen 50 und 90 Jahren – als seelisches Auswanderungsgut aus dem Banat nach Deutschland mitgebracht hat.

Der aus Großjetscha stammende Musiklehrer ist wohl der bekannteste Alleinunterhalter der Banater Schwaben in Deutschland. Er ist besonders im süddeutschen Raum überall dort unterwegs, wo Landsleute aus dem Banat sich treffen und das Tanzbein schwingen. Und das schon seit vielen Jahren. Natürlich kennt er den Musikgeschmack dieser Menschen und hat sein Repertoire danach ausgerichtet. Wie war doch diese Reihenfolge der Tänze damals im Banat? Ach ja: Walzer, Polka, Tango und Foxtrott. Mit anderen Worten hieß das böhmische Blasmusikmelodien und deutsche Schlager. So ähnlich klingen auch die musikalischen Reminiszenzen des Horst Reiter: Rauschende Birken, Wir sind Kinder von der Eger, Amore Romantica, Komm auf das Schiff meiner Träume, Donauschwaben-Walzer, Urlaubsschein u.s.w. bis zum 25. Titel, der bekannten Resi-Polka.


Reiter sagt, jetzt, wo die CD im Umlauf ist, er wäre eigentlich gar nicht auf die Idee gekommen, seine schönsten Lieder einzuspielen, wenn er bei seinen Engagements nicht schon oft nach einer solchen gefragt worden wäre. Und das kann man ihm ruhig abnehmen, denn von solchen Anstößen sprechen bedeutend prominentere Künstler als unser „schwowischer Alleinunterhalter“ Horst Reiter. Kürzlich hat der im deutschen Sprachraum sehr bekannte Rockmusiker Wolfgang Niedecken im DAS APOTHEKEN MAGAZIN erzählt, dass sein neuestes Album Dylanreise (mit Mike Herting am Piano) nicht entstanden wäre, hätten auf einer Deutschlandtour „Fans nicht immer wieder nach einer Aufnahme“ der gespielten „eigenen“ Songs gefragt. 

Gut, Reiter spielt keine eigenen Songs, aber er spielt und singt Lieder, die für Apotheken-Zeitschriften-Leser mit Banater Wurzeln schon etwas bedeuten. Der Alleinunterhalter aus dem Breisgau ist nämlich ein vielseitiger Musiker. Er beherrscht das unverzichtbare Keyboard, die Klarinette, das Saxophon und nicht zuletzt das Akkordeon, das er in Trossingen im Hauptfach studiert hat. (Ob vielleicht sogar bei Bernd Maltry – Vater aus Jahrmarkt – ist mir nicht bekannt.) Wer dazu noch gut singen kann, dem darf man ein solches Unterfangen wie Meine schönsten Lieder durchaus zutrauen. 

Diese CD ist gelungen. Musik von anno dazumal. Melodien, die Erinnerungen wachrufen können. An andere Räume und andere Zeiten. Und das für ganze 15 Euro (Versand inklusive). Wer Horst Reiters Telefonnummer wählt, kann sich diese CD beim Produzenten höchstpersönlich bestellen: 07666-5866.

Anton Potche

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