Montag, 12. September 2022

Welch ein zivilisatorischer Fortschritt

Arthur Ehrhardt: Der Junker und der deutsche Traum – Die Wiedergründung des Reiches durch Otto von Bismarck; Druffel-Verlag, Leoni am Starnberger See, 1959, 163 Seiten (mit zwei Fotos von Bismarck und Zeichnungen aus dem „Kladderadatsch“).

Was kann man von einem Sturmbannführer der Waffen-SS eigentlich mehr erwarten als eine kriegsverherrlichende Einstellung zum Militär und eventuell hinterlassene Schriften, die dieser menschenverachtenden Weltanschauung dienen. Der deutsche Offizier Arthur Ehrhardt (1896 – 1971) war einer dieser „Militärschriftsteller, Übersetzer und politischen Publizisten“ (Wikipedia), die die trübe Brühe des Militarismus auch nach dem Krieg am Köcheln hielten. Und unterschwellig natürlich auch nationalsozialistisches Gedankengut. Als Historiker setzte er sich aber auch mit Themen auseinander, die zeitlich weit vor dem Dritten Reich liegen. 1959 erschien im Druffel-Verlag die umfangreiche Erzählung Der Junker und der deutsche Traum – Die Wiedergründung des Reiches durch Otto von Bismarck.

Also von einem historischen Werk aus rein wissenschaftlicher Sicht kann hier nicht die Rede sein. Es ist eher eine chronologische Schilderung der Ereignisse, die 1870 / 1871 zur Wiedergründung des Deutschen Reichs führten und die der Autor als „Erzählung“ deklariert. Was aber in Anbetracht der Vita des Autors überrascht, ist, dass er den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Frankreich kaum Beachtung schenkt. Sein Augenmerk ist fast ausschließlich auf den diplomatischen Kampf vor und hinter den Kulissen gerichtet. Und das ist stellenweise schon interessant. Obwohl der Erzählstil vorwiegend belletristische Elemente enthält, greift der Autor auch auf Zitate aus zeitgenössischen Medien zurück, was dem Buch dann doch einen Hauch von Historie verleiht. Zur besseren Veranschaulichung gewisser Situationen wiedergibt der Autor auch längere Schilderungen von an den Ereignissen beteiligten Personen.

So erfährt man dann auch etwas über den Ausgang des Krieges mit Frankreich. Ein Vertrauter Kaiser Napoleons III., Colonel Prinz Georges Bibesco (Gheorghe Bibescu, von 1843 bis 1848 Fürst der Walachei), hat im Jahre 1870, schon in deutscher Gefangenschaft, die Stimmung auf der französischen Seite festgehalten: „Es war am 1. September 3 Uhr; die 3. und 4. Deutsche Armee hatte soeben ihre Vereinigung bei Illy bewerkstelligt. Als wir dem traurigen Rückzug der letzten Verteidiger dieses Abschnittes beiwohnten, gelangte das Gerücht zu uns, man habe in Sedan die weiße Fahne aufgepflanzt. […] ‘Wir können uns doch nicht fangen lassen!‘ rief der General Ducrot. ‘Ich führ meinen Teil‘, antwortete General Douay ruhig, ‘weiß absolut nichts weiter zu tun; am wenigsten möchte ich zu einem Schützengefecht raten, das zwecklos weitere Tausende opfern würde. Wenn Sie mir etwas Besseres vorzuschlagen haben, bin ich bereit, Ihnen zu folgen.‘“

Die Vereinigung der deutschen Staaten war schon lange vor der Reichsgründung (1870) ein Politikum mit europäischen Ausmaßen. Man kann das auch in diesem Buch nachlesen. „Im Juli 1861 kann Bismarck dem König Wilhelm auf einer Urlaubsreise in Baden-Baden darlegen, daß von Rußland aus ein Widerstand gegen eine deutsche Einigung, falls sie unter preußischer Führung vollzogen werde, wohl nicht mehr zu erwarten sei.“ Und sie blieb ein jahrzehntelanges Politikum bis zur nächsten Vereinigung Deutschlands, fast 120 Jahre später (1989) und diesmal ganz ohne Blutvergießen. Welch ein zivilisatorischer Fortschritt!

Anton Potche


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