Montag, 13. Februar 2023

Klein, aber fein

Achim Kelschebach: Wer war Dracula? - Biografie eines Vampirs; Thales Verlag GmbH, Essen, 1991; ISBN3-88908-592-X, 47 Seiten (bei Online-Buchhändlern noch erhältlich).

Eine kleine, aber feine Broschüre (DIN A5) hat der Thales Verlag aus Essen 1991 in Umlauf gebracht. Nicht gerade fein, aber umso aufschlussreicher ist ihr Inhalt, handelt es sich doch um das Gruselgenre in Literatur und Film schlechthin: Dracula.

Achim Kelschebach hat den Text, den man als einen gelungenen Essay über den Vampir Dracula lesen kann, verfasst. Als ein in Ingolstadt lebender Leser spricht mich gleich der erste Satz des ersten Kapitels, Gestatten – mein Name ist Dracula, an: „Der Graf mit den ausgezeichneten Manieren und dem ungewöhnlichen Gebiß ist neben Frankenstein die wohl populärste Figur in Horror-Literatur und -Film.“ Und als ein Banater Schwabe, der in den 1960er Jahren zu seinen Schulutensilien auch ein Lehrbuch der rumänischen Geschichte zählte, fühlte ich mich mit dem zweiten Satz sofort auf bekanntem Geschichtsterrain heimisch: „Sein Erfinder, der irische Schriftsteller Bram Stocker, der die literarische Vorlage lieferte, entlieh den Namen bei einer historischen Gestalt: Vlad Țepeș, Fürst der Walachei, der den Beinamen Dracula trug.”

Der Autor der Broschüre beginnt mit einem Blick auf die Geschichte Südosteuropas und legt den Fokus auf den walachischen Fürsten Vlad III. Țepeș, geb. 1431 – gest. 1476, (der Verfasser benutzt in seiner Schreibweise keine diakritische Zeichen), wegen seiner Grausamkeit auch „Pfahlwojwode“ oder „der Pfähler“ genannt. (Das rumänische Wort „țeapăbedeutet „Pfahl“.) Dieser Herrscher der Walachei wurde nur 45 Jahre alt, regierte das rumänische Fürstentum aber gleich dreimal; und das in einer stürmischen Zeit des 15. Jahrhunderts, als Türken, Ungarn, Walachen und Siebenbürger Sachsen immer wieder versuchten, ihre geopolitischen Ziele diplomatisch oder kriegerisch zu erreichen. Schon sein Vater, Vlad II. (ca. 1392/1394 - 1447), trug den Beinamen „Dracul“ und war ein Sohn des 29 Jahre lang auf dem Thron des rumänischen Fürstentums Walachei (rum. Țara Românească) sitzenden Mircea cel Bătrân / Mircea der Alte (1355 - 1418), eine der herausragenden Persönlichkeiten der rumänischen Geschichtsschreibung. [Rumänisch bedeutet „Dracul“ eigentlich „der Teufel“. „Vlad Dracul“ rührt aber nicht vom Teufel her, sondern vom christlichen Ritterorden der „Dragoner“, in den Vlad II. im Jahre 1431 aufgenommen wurde. Die Aufnahmezeremonie fand in Nürnberg im Beisein des ungarischen Königs Sigismund von Luxemburg (1368 – 1437) statt.]

Dass die Figur des walachischen Fürsten Vlad Țepeș (die chronologische Bezeichnung III. wird nur sporadisch in Geschichtsarbeiten benutzt) gut als Vampir-Vorbild taugt, hat auch damit zu tun, dass „rumänische Erzählungen“ schon immer stark vom Aberglaube geprägt waren. Die „populäre Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts“ hat „als Herkunftsland der Vampire […] immer wieder Transsylvanien in Rumänien, das Land hinter den Wäldern“ ausgemacht. Aus dem Legendenschatz dieser Gegend ist auch die Anleitung zum Töten eines Vampirs bekannt: „Hat man das Versteck gefunden, in dem er tagsüber in seinem Sarg ruht, so muß man einen Pfahl durch sein Herz treiben oder ihn mit einer silbernen Kugel erschießen.“

Achim Kelschebach beschäftigt sich nach den geschichtlichen und mythischen Hintergründen des Vampir-Phänomens mit der Vampir-Literatur. Es gibt wie überall auch hier bekanntere und weniger bekannte Namen. Von Bram Stocker (1847 – 1912), Lord Byron (1788 – 1824) oder Mary Shelley (1797 – 1851) mag man ja gelegentlich gehört haben, aber wer kennt schon Namen wie Joseph Sheridan le Fanu (1814 – 1873) oder gar John William Polidori (1795 – 1821). Von allen deren Verdienste erzählt dieses Büchlein. Hintergründe und Entstehungsgeschichten einzelner Werke werden erläutert. So etwa die Recherchen von Bram Stocker zu seinem berühmten Roman Dracula: „Der Name Dracula begegnete Stocker erstmals an einem Abend im Jahre 1890. Da erhielt er Besuch von dem renommierten ungarischen Orientalisten Herman Vanbery, der später auch in seinem Roman erwähnt wird. Vanbery erzählte ihm unter anderem von Vlad Tepes und den Überlieferungen, die über den Fürsten in Rumänien verbreitet wurden. […] Erst die genaue Kenntnis des rumänischen Vampirglaubens verleiht Stockers 1897 erscheinendem Roman eine fast dokumentarische Qualität.“ Andere Quellen behaupten, dass er „die Geschichte von Fürst Vlad wohl in einem Buch über die Walachei und Moldawien entdeckt, das er während eines Urlaubs mit seiner Familie in einer Bibliothek in Whitby in Nordengland ausleiht.“ (Sebastian Fischer, DONAUKURIER, 26./27. Mai 2022).

Für Dracula-Geschichten war der Film ein sehr geeignetes Medium schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ist es bis heute geblieben. Als die 1912 in Amerika von dem deutschen Einwanderer Carl Laemmle (1867 – 1939) gegründete Universal Picture Corporation sich des Vampir-Themas annahm, war der Welterfolg dieses Filmgenres gesichert. Und damit auch der Ruf so manchen Vampir-Darstellers.

Der erste „Große“ in dieser Reihe war der Ungar Bela Lugosi, geboren 1882 in Lugoj / Lugosch (damals Ungarn, heute Rumänien) und gestorben 1956 in Los Angeles. In diesem Büchlein kann man über ihn auch Folgendes lesen: „Er sprach nur gebrochen Englisch und mußte die meisten seiner Rollen phonetisch einstudieren. Der Rolle des Dracula verlieh sein osteuropäischer Akzent jedoch genau den gewünschten fremdartigen und bedrohlichen Ausdruck. Bela Lugosi identifizierte sich derart mit seiner Rolle, die er noch in weiteren Filmen verkörpern sollte, daß er in seinem Testament verfügte, man solle ihn im schwarzen Umhang Draculas begraben.“


Die meisten Vampirfilme wurden Ausgang der 1950er und Anfang der 1960er Jahre gedreht. In Amerika, England, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Mexiko, Japan und auf den Philippinen wurden in dieser Zeit um die 200 Vampirfilme auf Leinwand gebannt. Von 1991, dem Erscheinungsjahr von Kelschebachs Kurzbiografie Wer war Dracula?, bis heute sind noch einige dazugekommen - also ausreichend Stoff für Horrorfans und Filmkritiker.

Anton Potche

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