Dr. Andreas Schleef & Holger
Merten: La Vida Pasa – Andreas Schleef ganz persönlich; Stadt
Ingolstadt – Stadtarchiv, 2022; ISBN 978-3-932113-91-8; 24,90 Euro.
Es ist ganz interessant, die
Autobiografie eines Menschen zu lesen, den man kennt, also
vermeintlich kennt, denn er kennt dich nicht. So ergeht es mir mit
dem Autor des Buches La Vida Pasa. Viermal im Jahr
saßen wir uns gegenüber. Also nicht direkt, sondern auf Sichtweite,
Andreas Schleef und ich. Er war Personalvorstand bei Audi und
als solcher anwesend in den Betriebsversammlungen des Autobauers. Ich
spielte im Werkorchester; und Betriebsversammlungen bei Audi in
Ingolstadt ohne Musik gab es nie. Im Buch lesend, stieß ich dann
noch auf eine Gemeinsamkeit in unseren Lebensläufen: Oradea /
Großwardein, eine Stadt im Nordwesten Rumäniens. Ich absolvierte
1974 – 1975 dort meinen Militärdienst und Andreas Schleef
bekam im Jahre 2003 den Ehrendoktortitel der Universität Oradea.
Eigentlich ist La Vida Pasa
eine Familienvita, denn auch Schleefs Gattin, Juta Schleef,
hat einen wesentlichen Anteil am Erstellen dieses Buches. Es kommt
einem beim Lesen vor, als würde man mit zwei Menschen an einem Tisch
sitzen und ihren Worten lauschen, die in zweifarbigem und
differenziertem Schriftbild in einer Niederschrift festgehalten
wurden: seine in schwarzer, normal formatierter Druckschrift und ihre
in rotbrauner Kursivschrift.
La Vida Pasa ist eine
spanische Redewendung, die deutsch mit „das Leben passiert“
übersetzt werden kann. Andreas Schleefs Leben
„passiert(e)“auf drei Ebenen: Wirtschaft, Familie, Politik. Und
er erzählt frei weg von jedem dieser drei Leben, jedes auf seiner
Ebene, mit Erfolgen und Rückschlägen, Freude und Leid. Er nimmt
auch kein Blatt vor den Mund und klingt sehr ehrlich, wenn er mit
Stolz und Dankbarkeit erzählt, dass er „in der deutschen Industrie
eine Ausnahme [ist], weil [er] der einzige Personalvorstand [war],
der fünf Verträge bekommen hat.“ Und das verdankt er, man spürt
es von der ersten bis zur letzten Seite des Buches, nicht nur, aber
in erheblichem Maße einem Mann, und das war kein geringerer als der
geniale Ingenieur und Konzernlenker Ferdinand Piëch.
Das fünfte
von den sieben Kapiteln des Buches trägt den Titel Piëch
und Schleef. Schleef schreibt hier keine schleimige
Huldigung auf seinen zweiten Audi-Vorstandsvorsitzenden aus der Reihe
der sechs, die er in Ingolstadt überlebt hat – danach wurde er für
fünf Jahre „El Presidente“ bei Seat -, sondern gewährt tiefe
Einblicke in das Gehirn einer Konzernzentrale. Ich bin überzeugt,
dass die Uhren in den Vorstandsetagen vieler (vielleicht sogar aller)
Großunternehmen ähnlich ticken, wenn ich Andreas Schleef so
zitiere: „Sie kommen als Vorstand nicht in einen Streichelzoo,
sondern in einen Raubtierkäfig. […] Je nach Psychogramm des
anderen Vorstandes musste ich schon ein gewisses Machtstreben
mitbringen. Nicht alle waren einem wohlgesonnen, nicht alle von der
hehren Aufgabe getrieben. […] Je nach Situation des Unternehmens
ist man von Leuten umgeben, die einem vieles nicht gönnen, die einen
negativ angehen bis hin zur Feindschaft. […] Es ging los, wenn es
fünf oder sechs Vorstände waren, da konnten Sie zu 80% sagen, die
anderen sind mindestens nicht ihr Freund. Freundschaften gab es in
diesen Gremien nicht.“
Auch wenn
Andreas Schleefs (*1943) Verhältnis zu Ferdinand
Piëch
(1937 - 2019) vielleicht nicht als „Freundschaft“ bezeichnet
werden kann, so muss es doch innig gewesen sein, denn zur
Präsentation dieses Buches, dieses sehr lesenswerten Buches, schrieb
der DONAUKURIER am 20. Mai 2022 unter dem Titel Biografie wirft
Spenden ab: „Weitere 2000 Euro stiftete die Familie Piëch, die dem früheren Audi-Personalvorstand eng verbunden ist.“
Beide Männer, Schleef und
Piëch,
werden bestimmt vielen Audi-Mitarbeitern meiner Generation in
Erinnerung bleiben. Dazu wird auch dieses Buch seinen Beitrag
leisten. Es besticht durch die Texte und viele (auch großformatige
über zwei Seiten) Bilder aus dem Leben des Andreas Schleef
und seiner Arbeitsplätze, vorwiegend der Audi AG, aber auch durch
viel Persönliches und zutiefst Menschliches aus einem bewegten
Leben.
Schleef arbeitete von 1973
bis 2008 in diesem Unternehmen, zuletzt als Generalbevollmächtigter; und meine Wenigkeit, jetzt sein Leser, von 1985 (sein erstes
Vorstandsjahr) bis 2015, zuletzt als Altersteilzeitler in der
Mechanischen Abteilung. Zwei Viten, wie sie unterschiedlicher nicht
sein können und sich jetzt leider ihrem Ende zuneigen. Aber so
spielt das Leben: La Vida Pasa.
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen