Montag, 22. Mai 2023

Ein modernes Märchen

Kürzlich habe ich in einer Zeitung gelesen, dass Saint-Exupérys Märchen Der kleine Prinz von manchen als Kitsch verdammt wird, „während es vielen Trost spendet“. Nachvollziehbar. Das ist das Schicksal jedes literarischen Textes. Und auch des Genres, in das man ihn weiter verarbeitet, also Theater oder Oper oder Film … Das geht nicht nur den Klassikern der Gattung Märchen, etwa Grimm, Andersen u.v.a., so, sondern auch den zeitgenössischen Märchen. Wie etwa Der Schwarm. Ja, was Frank Schätzing mit seinem Schwarm zuwege gebracht hat, ist ein Märchen. Nicht mehr und nicht weniger. Und als solches ist es der Meinung, also den Meinungen, der Leserschaft ausgesetzt. Einige finden das Märchen schön, andere nicht. Schätzing selbst ist angeblich mit der Weiterverarbeitung, der filmischen Fassung, seines Romans, also Märchens Der Schwarm nicht besonders glücklich.

Liest man im Feuilleton, so findet man mehr an dem Film geäußerte abwertende Kritik als positive Reaktionen. Simon Hauck wird in der März-Ausgabe des MÜNCHNER FEUILLETON im wahrsten Sinne des Wortes ausfällig, ja, beleidigend im Gossenstil. Er spricht von „tränendrüsengeschwängertem Blödsinn“. Er wünscht sich viel mehr „Tiefseewürmer, Krabben und Wale, die außer Kontrolle geraten und die Menschen in den Untergang stürzen wollen“. Die reüssieren nämlich in „Schätzings spannungsgeladener Oko-SciFi-Dystopie“. Sollen sie doch. Es mag ja auch Kinder geben, die sich noch mehr Wölfe in Rotkäppchens Wald wünschen. Alles hängt von ihrer Fantasie ab.

Screenshot: Anton Potche
Der Film von Frank Doelger (Idee, Produktion, Drehbuch) ist doch keine Eins-zu-Eins-Nacherzählung von Frank Schätzings modernem - man kann auch die Bezeichnung „wissenschaftlichem“ gelten lassen - Märchen, sondern eine filmische Erzählung, der ein Roman, oder Märchen, zugrunde liegt. Und diese Erzählung hat mir gefallen. Hätte ich Der Schwarm gelesen, wären hinter meiner Stirn vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, ganz andere Bilder entstanden. Ob die dann den gleichen Unterhaltungswert gehabt hätten wie der gesehene Schwarm, darf man sogar bezweifeln. Als Begründung für meinen Zweifel genügt der gelungene Spannungsaufbau in diesem Film.

Und das feenhafte Ende? So enden nun mal gelungene Märchen. Man darf trotz allen Grauens danach noch einschlafen … und bei aller Kritik nie aus den Augen verlieren, dass eine Roman-, Film-, Theater-, Oper-, Konzert-, etc.- besprechung immer nur die Meinung eines Einzelnen ist … und subjektiv bleibt nach allen Regeln der Kunstkritik.

Dazu gesellt sich noch das Erkenntnispotential, das im Plot eines Märchens enthalten sein kann. Der Gewässerökologe Jens Krause formuliert das in der WELT AM SONNTAG (5. März 2023) so. „Im Bestseller ‚Der Schwarm‘ von Frank Schätzing, aktuell als ZDF-Serie verfilmt, sind es die Yrr, die als fiktive Meeresorganismen zur globalen Bedrohung werden. In der Realität ist es der Mob, der wie beim Sturm auf das Kapitol in Washington gefährlich wird.“

Mir hat dieser Film gefallen. Ich kann es nur wiederholen. Die Öffentlich Rechtlichen Fernsehanstalten sollten sich nicht scheuen, solche Projekte auch in Zukunft anzupacken, auch wenn Herr Hauck von einer „armseligen Europudding-Koproduktion (ZDF, RAI, ORF, France Télévisions, SRF) schreibt.

Anton Potche

Der Schwarm (Fernsehserie) - Idee: Frank Doelger, Regie: Barbara Eder, Philipp Stölzl, Luke Watson, Drehbuch: Steven Lally, Marissa Lestrade, Chris Lunt, Michaela A. Walker, Frank Doelger, Frank Schätzing, Musik: Dascha Dauenhauer, Darsteller: Leonie Benesch, Cécile de France, Alexander Karim, Joshua Odjick, Barbara Sukowa u. v. a.

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