Montag, 19. Juni 2023

In der Schwebe

 Eine Installation über dem Wasser

Wenn etwas nicht fertig ist, sagt man es sei in der Schwebe. Das muss nicht unbedingt etwas Greifbares sein. Es kann auch ein Vorgang sein, etwa ein unvollendetes Verfahren bei Gericht. Für die bildende Künstlerin Sieglinde Bottesch hat ein Schwebezustand durchaus auch etwas mit Bewegung zu tun. Ein Schweben im Raum, im Säuseln des Windes, über dem Wasser, in einem Korb aus Weiden … Man könnte unendlich fortfahren mit den Gefühlen und Interpretationsgelüsten, die einen beim Betrachten von Sieglinde Botteschs Aufgehoben befallen.

Fühlt man sich in etwas aufgehoben, also geschützt, dann handelt es sich in der Regel um etwas Festes, ein Nest oder ein Haus. Oder um eine Wiege, einen Korb? Ein Korb als Wiege? Eine Wiege schwebt, wenn man sie anstößt. Und wenn sie in der Schwebe ist, fühlt sich ihr Inhalt, meistens ein Baby, aufgehoben. Daher passen sie wirklich gut zusammen: die Kunstinstallation Aufgehoben und die Ausstellungsreihe Kunst in der Schwebe. Letzteres ist im Werden begriffen, aber ersteres schwebt schon über dem Künettegraben im Ingolstädter Glacis und bildet den Auftakt zu einer Serie, eine Open-Air-Galerie auf Zeit, die sich vor der Kunststätte KAP94 in diesem Sommer entfalten wird.

Aufgehoben besteht aus zwölf an feinen Schnüren hängenden und dauernd im Wind schwebenden Weidenkörben. Ein vor allem sehr beruhigender Anblick. Aus der Ferne hat es den Anschein, die Fische wären aus dem Wasser gestiegen. Heißt es nicht, allen Lebens Anfang auf unserer Erde wäre aus dem Wasser gekommen? 

Eine Informationstafel enthält Wissenswertes über das Projekt, die Künstlerin und ihr Werk. Sieglinde Bottesch ist eine geborene Hermannstädterin. Sie hat in Bukarest studiert und lebt seit 1987 in Ingolstadt. Zu den Sparten der bildenden Kunst, die sie bedient, gehören laut Index (sieglinde-bottesch.de) Handzeichnung, Malerei, Druckgrafik (Illustrationen), Objekte und Installationen. 

Leider konnte ich nicht erfahren, wie lange Sieglinde Botteschs Körbe noch im Winde über dem Wasser des Künettegrabens schweben. Man sollte das Vorbeifahren auf jeden Fall nicht in die Länge ziehen. (Kunst- und Kulturwerkstatt KAP94, Jahnstraße 1a, 85049 Ingolstadt.) Schwebende Kunst beruhigt das Gemüt.
Anton Potche


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