Montag, 5. Juni 2023

War Kelczer Kilczer?

Die Temeswarer Literaturzeitschrift ORIZONT hat ihre Juli-Ausgabe 2022 auf für sie ganz unübliche Art mit einem Titeltext statt einem Titelbild versehen. Geschrieben wurde der Kurzessay von dem rumänischen Philosophen Horia-Roman Patapievici. Der Titel dieses Textes deutet auf eine Frage hin, die bis heute viele (nicht nur) Rumänen beschäftigt: Über den Glauben einiger von uns in die Wahrheit des Marxismus.

Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der schon mal die Auffassung gehört hat, dass der Marxismus in der Theorie gar nicht so schlecht gewesen war und nur seine Anwendung in der Praxis nicht funktionierte. Patapievici sagt dazu, eigentlich sei seine [des Marxismus] „einzige Wahrheit aus seiner Exterminierungsfähigkeit abgeleitet“. Alles, was diktatorischen Regimen nicht in den Kram passt, muss weg, oder wird zur Rechtfertigung eigener Zielsetzungen missbraucht. Dass Viele an den skrupellosen Mechanismen dieser Machtstrukturen beteiligt waren, ohne je etwas von einem Herrn Marx gehört zu haben, dürfte nicht überraschen. Die Ideologie funktioniert viel leichter ohne Verstand. Und sie führt oft zu skurrilen Situationen. 

Im gleichen ORIZONT-Heft kann man auch einen, teilweise sogar erheiternden, Text des Banater Schriftstellers und Hochschullehrers Daniel Vighi (1956 - 2022) lesen: lasă că mai știm și noi, nu suntem veniți cu pluta! (… lass, wir wissen auch was, wir sind nicht mit dem Floss gekommen!). Der Autor stammte aus Lippa / Lipova und ist dieser Kleinstadt an der Marosch zeitlebens treu geblieben – zumindest literarisch. Er schrieb immer wieder von den Menschen aus dieser Region. Und das führte unvermeidlich dazu, dass auch deutsche Protagonisten in seinen Schriften vorkommen.

Der Vorfall, den Daniel Vighi in diesem Text schildert, ist einer Securitate-Akte entnommen und kann sowohl die sich auf Marx stützende Vernichtungswut der rumänischen Kommunisten im Jahre 1961 als auch die anzunehmende intellektuelle Beschränktheit des Informanten Rex untermalen. Man liest leicht vergnügt, wie dieser Informant versucht, den Major Bejenaru von der Dringlichkeit einer Observierung des Klosters Maria Radna zu überzeugen. Bei diesen Gesprächen wird auch der Küster der katholischen Kirche aus Lippa, Kaim Gheorghe, erwähnt.

Dechant Martin Kilczer
FotoQuelle: Jahrmarkt im Banat
(HOG Jahrmarkt, 1984)
Und spätestens bei der in der Akte vermerkten (angeblichen) Aussage des Küsters vergeht einem dann doch das Lachen. Es war verdammt ernst in jenen Jahren des Dej-Kommunismus. Vielleicht sogar schlimmer als danach in der Ceaușescu-Ära. Laut Akte hat der Küster dem Informanten folgendes erzählt: „Es ist wahr, dass sowohl in Radna als auch in Lippa viel Geld gesammelt wurde, aber das ist nicht unser Geld, aus den gesammelten Summen wird ein Spezialfond angelegt zur Hilfe der inhaftierten Priester, denn es befinden sich auch heute noch in den Gefängnissen des Landes 110 katholische Priester, außer denen, die einen Zwangsaufenthalt im Bărăgan haben, wie Dechant Kelczer und andere.”

Mit Dechant Kelczer ist wahrscheinlich der 1893 in Jahrmarkt / Banat geborene und 1980 in Blieskastel / Saarland verstorbene Geistliche Martin Kilczer gemeint. (aus Franz Junginger: Ortssippenbuch Jahrmarkt, Bd. II)

Anton Potche

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