Sonntag, 23. Juni 2024

Das zweite Spiel

Rumänien – Belgien 0:2

Die rumänischen Medien haben sich nach dem Erfolg gegen die Ukraine in ihren Berichterstattungen schlicht überboten. Jeder wollte den interessantesten Artikel oder Radio- und TV-Beitrag produzieren. So sieht Euphorie in der Medienwelt nun mal aus. Die in Temeswar erscheinende GAZETA de VEST hat einen namhaften Fußballer der 1970er & 1980er Generation interviewt: Marcel Răducanu, eine Borussia-Dortmund-Legende, wie der Autor des Interviews Matei Alexandru schreibt. Der Dribbelkünstler von CSA Steaua Bukarest - 1972 bis 1981 (229 Spiele, 94 Tore), BVB 09 Borussia Dortmund – 1982 bis 1988 (163 Spiele, 31 Tore) und FC Zürich 1980 bis 1990 (47 Spiele, 12 Tore) spielte 21 mal für die rumänische Nationalmannschaft und erzielte drei Tore.

Das Interview wurde zwar vor dem Spiel Rumänien – Ukraine aufgenommen, einige Aussagen Răducanus haben aber allgemeine Gültigkeit. Der Fußball hat sich nach seiner Erkenntnis „entwickelt, ist viel athletischer, viel Taktik. […] Heute musst du auch als Sturmspitze in der Verteidigung mithelfen. Er hat sich komplett geändert, ja, ich will nicht sagen, dass er schöner ist, aber er ist viel schneller.“

Im Spiel gegen die Ukraine hat besonders der rumänische Kapitän Nicolae Stanciu (31) einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der rumänische Fernsehsender DIGIsport hat von der belgischen Internetplatform SPORZA eine Charakterisierung Stancius von Youri Tielemans (27) übernommen. Die zwei waren Mannschaftskollegen bei RSC Anderlecht (Belgien) in der Spielzeit 2016/2017. Der belgische Mittelfeldstratege spielt seit letztem Jahr bei Aston Villa in der Premier League und erinnert sich: „Er ist ein sehr guter Spieler, technisch mit einer starken Laufleistung. Stanciu hat eine große Zuneigung für sein Land, wie alle Rumänen. Als Kapitän muss er versuchen, die Mannschaft anzuführen, was ihm gegen die Ukraine sehr gut gelungen ist.“

Blieb also abzuwarten, wie er seine Fähigkeiten gegen die Belgier in den Dienst der Mannschaft stellen kann. Youri Tielemans war das gestern Abend um 21 Uhr und 74 Sekunden egal. Er schoss im EM-Spiel Belgien – Rumänien (Gruppe E) eine Minute und 14 Sekunden nach Anpfiff seine Mannschaft im Rheinenergiestadion (bekannt als Müngersdorfer Stadion) in Führung. Die Zuschauer im Kölner Stadion erlebten ein „energiegeladenes“, von einem „mega Tempo“ (ZDF-Moderator) geprägtes Spiel.

Iordănescu schickte mit einer Ausnahme, Valentin Mihăilă anstelle von Florinel Coman, dieselbe Formation wie gegen die Ukrainer aufs Spielfeld. Was folgte war erst mal das erwähnte Tor und danach ein insistentes Anrennen der Belgier auf das gegnerische Gehäuse, immer wieder unterbrochen von rumänischen Gegenangriffen, die leider kein Tor einbrachten. Die Belgier sind von der Physis her viel robuster, als die geschmeidigen Jungs aus dem Lande der Karpaten. Von einer Dracula-Bösheit war daher bei ihren Zweikämpfen in den Eins-zu-Eins-Situationen nichts zu spüren. Sie blieben stets zweite Sieger. Trotzdem sprachen der Fernseh-Kommentator und Co-Kommentator, auch noch Spezialist genannt, von einem „rassigen Duell“ und einem „klasse Auftritt der Männer in Gelb“ … und meinten die Rumänen. Dieser Eindruck war bestimmt nicht falsch, denn das Spiel lebte von seiner Schnelligkeit und den daraus resultierenden Torszenen, die allerdings erst in der 79. Minute zum Erfolg führten, als Kevin De Bruyne einen Wimpernschlag vor dem heranfliegenden rumänischen Torwart Florin Niță, spielt bei Gaziantep FK in der Türkei, den Ball ins Tor beförderte. Damit war das 2:0 für Belgien besiegelt und die Punktegleichheit in der Gruppe vor dem letzten Spieltag am 26. Juni um 18 Uhr (Slowakei – Rumänien sowie Ukraine – Belgien) hergestellt.

Gestern Abend spielte die Pianistin Yuja Wang, begleitet von den Berliner Philharmonikern unter Kiril Petrenko, in der Berliner Waldbühne Sergej Prokofjew Klavierkonzert Nr. 1 Des-Dur op. 10. Wer diese chinesische Künstlerin schon mal in ihrem aufreizenden Outfit gesehen und ihr Klavierspiel gehört hat, wird ihren Auftritt nicht so schnell vergessen – besonders Männer. Die Moderatorin dieses Freilichtkonzertes erwähnte, dass Kritiker Prokofjews Klavierkonzert „einen gewissen Fußballcharakter bescheinigt“ hätten. Sie werden damit wohl das zauberhafte gleiten der Finger beider Hände über die Tastatur gemeint haben. Oder den Rhythmus, das Tempo … Auch wenn wir ein weitgehend faires Spiel gesehen haben, muss man doch zugeben, dass es auf dem Rasen in der Regel etwas rustikaler als auf einer Klaviertastatur (zumindest bei klassischer Musik) zugeht.

Mannschaften
Belgien: Casteels Faes, Vertonghen, Theate (77. Debast) – Tielemans (72. Mangala), Onana, Castagne, Doku (72. Carrasco) – De Bruyne Lukebakio (56. Trossard), Lukaku.

Rumänien: Niță - Rațiu (90. Sorescu), Drăgușin, Burcă, Bancu, Marius Marin (68. Olaru) – Man, Răzvan Marin, Stanciu, Mihăilă (68. Hagi) – Drăguș (81. Alibec).

Anton Potche

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