Montag, 12. August 2024

Ein Jägerschriftsteller ohne Gewehr

Ionel Pop: Kleine Freundschaften – Tiergeschichten; Kriterion Verlag, Bukarest, 1981; 261 Seiten; Lei 8,50 (Das Taschenbuch ist bei vielen Online-Händlern zu verschiedenen Preisen Erhältlich).

Kann ein Jäger Jäger sein, wenn er mit dem Wild, besser gesagt, mit der gesamten ihn umgebenden Flora und Fauna, mit Akzent auf Letzterer, Freundschaft schließt? Ja doch, aber einer, der am liebsten gar nicht schießt, und wenn schon, nur wenn er muss. Ionel Pop gehört zu dieser Jägerkaste, die eigentlich ohne Gewehr auskommt.

Der 1889 in Bădăcin / Sălaj / Rumänien geborene (eine andere Quelle gibt Gherla als Geburtsort an) und hochbetagt 1985 in Bukarest verstorbene Jurist, Politiker und Schriftsteller hatte ein ausgeprägtes Faible für Tiere in der freien Natur. Diese Liebe zu den Tieren in den Wäldern der Karpaten fand ihren Niederschlag auch in zahlreichen Büchern. Von 1956 bis 1986 sind nicht weniger als 21 Bände erschienen, alle in Bukarester Verlagen. Fünf seiner Bücher wurden ins Deutsche übersetzt und je eins ins Französische und Russische. Dazu gesellen sich auch andere Niederschriften, die zum Teil noch in Manuskripten vorliegen.

Der Erzählband Kleine Freundschaften ist eine Übersetzung aus dem Rumänischen von Stefi Daniel. Ihr liegt das Buch Întîlniri cu animale aus dem Jahre 1960 zugrunde. Die 14 Tiergeschichten strahlen alle das im Titel angekündigte Freundschaftsgefühl aus. Zu diesem Sympathieträger Freundschaft gesellt sich auf diesen Taschenbuchseiten eine empathiegeladene Sprache, die auch (ohne das Original in der rumänischen Sprache zu kennen) der sehr guten Übersetzung zu verdanken ist. Hier kann sich ein Mensch nachvollziehbar in die Existenzgrundlage von Vögel und Säugetieren hineinversetzen. Und das in einem fließenden Erzählstil mit weder zu kurzen noch zu langen Sätzen.

Schon die erste Erzählung, Der Vogel mit dem Edelsteingefieder, beginnt mit wunderschönen Naturbeschreibungen, deren Kernaussage in der Personifizierung der gesamten Umwelt liegt: „Heute Nacht wollte mir der Frost etwas ganz besonders Schönes malen. Er suchte sein altes Buch hervor, blätterte in den Seiten, bis er schließlich das Richtige fand, und lächelte zufrieden.“ Es ist Winter. Na klar! Und der Autor und passionierte Jäger Ionel Pop macht sich Sorgen um den Eisvogel „aus der Gruppe der Alcediniden“. Er wusste schon damals, dass dieser prächtige Vogel „an unseren Flüssen immer seltener wird“. Und er entlarvt den „hinterlistigen Mensch“, der „am Fischteich seine Fallen aufstellt, weil er dem Vogel die paar Fischlein mißgönnt“, wie auch „den herzlosen Fischer“, der „ihm zum Zeitvertreib Schrot nachschickt.“

Wenn Ionel Pop über den bekannten Meister Petz schreibt, greift er auch auf Jagdliteratur längst vergangener Zeiten zurück: H. W. Döbels- Jäger Practica , 1783 oder Leopold ChimaniDie Jagdlust, Wien 1820. Dabei hat der Autor mit dem Jagen nur nebensächlich zu tun. Er legt sein Augenmerk vor allem aufs Beobachten, auf das Leben der Tiere, ihre Überlebenskämpfe, ihre Siege und Niederlagen. Und er vergisst dabei auch den Menschen nicht, den Hirten, der oft der rauen Natur ausgesetzt ist und nur selten als Motiv des friedlich Flöte spielenden Hirtenjungen für Künstler taugt.

Viele tierische und auch pflanzliche Bewohner der Karpaten werden in den folgenden Erzählungen liebevoll porträtiert. Aber auch die in Städten und Dörfern des siebenbürgischen Landstrichs beheimateten Vögel hat Ionel Pop nicht vergessen: „die gelbbauchigen Meisen, die Blaumeisen und die geschopften Haubenmeisen, Goldammern und verwitwete Schneefinken, deren Weibchen südwärts gezogen waren.“ Auch der Türkentaube und der Turteltaube wird gedacht wie auch dem Raben und der Dohle, die es ihm anscheinend besonders angetan hatte: „Sie rief ihren Herrn beim Namen: ‚Krta, krta!‘ Sie sagte ‚carne‘, was rumänisch Fleisch heißt.“ (Weißauge).

Der graue Tod ist den Wölfen gewidmet. Ionel Pop macht uns auch bekannt mit den Lokalitäten der faszinierenden Bergwelt und spürt der Musik, die durch so manches Tal schwingt, nach: „Heiser klang es aus den Kehlen der Rüden, heller aus jenen der Wölfinnen und der Jungwölfe; langsam begann das Geheul und langgezogen, stieg vom dunklen Baß immer höher hinauf bis in den spitzen Diskant, um dann, von kurzem Gekläff unterbrochen, mit einem verlöschenden Seufzer abzuklingen.“ Als wollte der Autor dieser Sequenzen den Komponisten dieser Welt zurufen: Kommt, und lauscht den Urquellen der Töne und formt eure Musik daraus. Es klingen aber auch realistische Töne bei Ionel Pop an: „Meines Wissens und meiner Überzeugung nach, greifen Wölfe – zumindest die bei uns lebende Art, sei es ein noch so großes Rudel und seien sie noch so ausgehungert – einen lebenden Menschen niemals an.


Ja, ja, die Liebe, sie ist in der freien Natur genauso faszinierend wie in den Häusern der Menschen. Wenn der naturbesessene Ionel Pop „das Balzen der Auerhähne von ihren Plätzen im Frumoasa-Tal hörte und den großen schwarzen Vogel zwischen den Ästen der uralten Fichte umherfliegen sah, überkam es [ihn] wie ein Märchentraum“. Wen wunderts, wo er dieses Naturschauspiel doch mit Der schwarze Ritter überschreibt, um ihm dann bei aller Hochachtung nicht gerade das beste Zeugnis auszustellen. „Während der Balzzeit sind manche Auerhähne total kopflos, und man kann nur sagen, daß sie von Sinnen sind.“ Also wenn ich so an meine ausklingende Pubertät denke, ja, dann … Aber gleich nach der Balz liest man dann, dass „der Auerhahn […] der schlechteste Gatte und Familienvater, den man sich denken kann“, sei. Macho, kann man da nur sagen.

Was beim Auerhahn die Balzzeit ist, ist beim Dachs und der Dächsin die Ranzzeit. Das ist eine berührende Geschichte (Der gute Wirt), die erzählt, wie die Natur sich vom Menschen vernachlässigte Räume zurückerobert. Ganz persönliche menschliche Tragik kommt hier leider auch ins Spiel: „Die Dachsmutter dürfte eine Urururenkelin des Dachspaares von einst gewesen sein, das damals unser Indianerabenteuer durchkreuzte, als noch kein Flaum unsere Lippen bedeckte und mein Bruder Matei, der nach Jahren sein Grab in derselben Gegend finden sollte, sich noch seines jungen Lebens freute.“

Langschnabel nennt der Autor die Schnepfe und überschreibt mit ihrem Namen eine Erzählung, so als wollte er einer sterbenden Kreatur die letzte Ehre erweisen und gleichzeitig seine Schuldgefühle als erfolgreicher Jäger übertünchen. Und wie Ionel Pop das im Text umsetzt, ist so schön, dass es als pure Poesie aufgenommen werden kann: „Es waren die Augen eines sterbenden Vogels, die mich ergriffen: große, weitgeöffnete, reglos stille, dunkelbraune Augen von unergründlicher Tiefe. Eine grenzenlose Trauer, ein Vorwurf ohne Stachel lag darin, ein unschuldiges Fragen, auf das ich nicht ohne Scham zu antworten vermochte. War ich es, den sie ansah? Blickte sie in den Frühlingsglanz, der für sie ins Todesdunkel einging? Sah sie überhaupt noch etwas? Ich sah jedenfalls, und ich fühlte ...“ Es war zu spät für den jungen Jäger. Weidmannsheil ist Weidmannsleid!

Gemsen nimmt Ionel Pop wie Schwarze Perlen an den Berghängen war. Ihr Leben auf und in den schroffen Felswänden ist eine einzige Waghalsigkeit. Für uns Menschen ist das nur schwer zu verstehen, für die Gemsen ist dieses Dasein existentiell. Auch für den Jäger, denn er hat sein Gewehr nicht geladen. Kein Schuss zum Abschied … Nur tiefe Sehnsucht im Herzen: „Noch ein Blick auf die Berge ringsum, und scheiden von dem, was mir lieb ist – unten am Waldrand ein letztes langes Lebewohl … bis zum nächsten Frühsommer, wenn die Alpenrosen blühen und die jungen Kitze sich auf der Weide tummeln.“

Erst „wenn der Kuckuck ruft, dann ist der Frühling wirklich und wahrhaftig da!“, behauptet Ionel Pop und nennt diesen in die Volkskunde so mancher Region eingegangene Vogel schlicht Graufeder. Es sind Lebensdaten, die die Menschen mit dem Ruf des Kuckucks verbinden. Pop erinnert in dieser Naturbeschreibung an einige von ihnen: „Die Dorfmädchen horchen gespannt auf den neuen Ruf, um ihre Wartejahre bis zur Hochzeit an den Fingern abzuzählen.“ Und auch der Greis legt „die Hand ans Ohr, um aus der Zahl der Rufe die Jahre zu erfahren, die ihm noch geblieben sind.“


Einer Märchengestalt ähnelt das Hermelin: nämlich dem Schneewittchen. Ionel Pop fragt uns Leser, ob wir „das Hermelin in seiner ureigenen Welt“ je gesehen haben. Wohl die wenigsten von uns. Darum war wahrscheinlich nicht nur ich überrascht, als ich erfuhr, dass unser Schneewittchen eigentlich ein wieselflinker Blutsauger ist. Also diese mit flinker Feder geschriebene Naturerzählung passt wirklich zu den Dracula-Geschichten. Nur dass sie nicht der Sagenwelt entstammt, sondern real ist.

Die Giftspritze heißt eine Erzählung. Ganz lustig. Sie lässt uns in die Seele von Stadtmenschen blicken, die schon beim Erwähnen einer Kreuzotter Reißaus nehmen.

Dann trifft man in diesem Buch mit den fabelhaft geschriebenen Tiergeschichten auch noch auf ein Haubentaucherpärchen, dass die Aufmerksamkeit des Autors gefesselt hat. Das sind Vögel, Wandervögel, die gerne fliegen und schwimmen, aber nicht gerne an Land gehen. Sie sind in ihren Lebenselementen Luft und Wasser so schnell und zielsicher unterwegs, dass Ionel Pop sie als Das lebende Torpedo apostrophiert.

Kleine Freundschaften schließen den Reigen der hier veröffentlichten Tiergeschichten. Die Annäherung einer Maus ohne Artenanhang, also eine Single-Maus, und des Ich-Erzählers. Das ist Spannung pur, obwohl doch gar nichts passiert. Das gleiche gilt für des Autors Begegnung mit einem Teichrallenpärchen.

Hilfreich ist die am Ende des Buches veröffentlichte Erklärung der Weidmannsausdrücke. Wer weiß nämlich schon, was eine Branke ist oder ein Geheck, ein Gescheide oder eine Sasse und vieles mehr.
Anton Potche

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