Ionel Pop: Kleine Freundschaften
– Tiergeschichten; Kriterion Verlag, Bukarest, 1981; 261 Seiten;
Lei 8,50 (Das Taschenbuch ist bei vielen Online-Händlern zu
verschiedenen Preisen Erhältlich).
Kann ein Jäger Jäger sein, wenn er
mit dem Wild, besser gesagt, mit der gesamten ihn umgebenden Flora
und Fauna, mit Akzent auf Letzterer, Freundschaft schließt? Ja doch,
aber einer, der am liebsten gar nicht schießt, und wenn schon, nur
wenn er muss. Ionel Pop gehört zu dieser Jägerkaste, die
eigentlich ohne Gewehr auskommt.
Der 1889 in Bădăcin
/ Sălaj / Rumänien geborene (eine andere Quelle gibt Gherla
als Geburtsort an) und hochbetagt 1985 in Bukarest verstorbene
Jurist, Politiker und Schriftsteller hatte ein ausgeprägtes Faible
für Tiere in der freien Natur. Diese Liebe zu den Tieren in den
Wäldern der Karpaten fand ihren Niederschlag auch in zahlreichen
Büchern. Von 1956 bis 1986 sind nicht weniger als 21 Bände
erschienen, alle in Bukarester Verlagen. Fünf seiner Bücher wurden
ins Deutsche übersetzt und je eins ins Französische und Russische.
Dazu gesellen sich auch andere Niederschriften, die zum Teil noch in
Manuskripten vorliegen.
Der Erzählband Kleine
Freundschaften ist eine Übersetzung aus dem Rumänischen von
Stefi Daniel. Ihr liegt das Buch Întîlniri
cu animale aus dem Jahre 1960
zugrunde. Die 14 Tiergeschichten
strahlen alle das im Titel angekündigte Freundschaftsgefühl aus. Zu
diesem Sympathieträger Freundschaft gesellt sich auf diesen
Taschenbuchseiten eine empathiegeladene Sprache, die auch (ohne das
Original in der rumänischen Sprache zu kennen) der sehr guten
Übersetzung zu verdanken ist. Hier kann sich ein Mensch
nachvollziehbar in die Existenzgrundlage von Vögel und Säugetieren
hineinversetzen. Und das in einem fließenden Erzählstil mit weder
zu kurzen noch zu langen Sätzen.
Schon die erste Erzählung, Der
Vogel mit dem Edelsteingefieder, beginnt mit wunderschönen
Naturbeschreibungen, deren Kernaussage in der Personifizierung der
gesamten Umwelt liegt: „Heute Nacht wollte mir der Frost etwas ganz
besonders Schönes malen. Er suchte sein altes Buch hervor, blätterte
in den Seiten, bis er schließlich das Richtige fand, und lächelte
zufrieden.“ Es ist Winter. Na klar! Und der Autor und passionierte
Jäger Ionel Pop macht sich Sorgen um den Eisvogel „aus der
Gruppe der Alcediniden“. Er wusste schon damals, dass dieser
prächtige Vogel „an unseren Flüssen immer seltener wird“. Und
er entlarvt den „hinterlistigen Mensch“, der „am Fischteich
seine Fallen aufstellt, weil er dem Vogel die paar Fischlein
mißgönnt“, wie auch „den herzlosen Fischer“, der „ihm zum
Zeitvertreib Schrot nachschickt.“
Wenn Ionel Pop über den
bekannten Meister Petz schreibt, greift er auch auf
Jagdliteratur längst vergangener Zeiten zurück: H. W. Döbels-
Jäger Practica , 1783 oder Leopold Chimani
– Die Jagdlust, Wien 1820. Dabei hat der Autor
mit dem Jagen nur nebensächlich zu tun. Er legt sein Augenmerk vor
allem aufs Beobachten, auf das Leben der Tiere, ihre
Überlebenskämpfe, ihre Siege und Niederlagen. Und er vergisst dabei
auch den Menschen nicht, den Hirten, der oft der rauen Natur
ausgesetzt ist und nur selten als Motiv des friedlich Flöte
spielenden Hirtenjungen für Künstler taugt.
Viele tierische und auch pflanzliche
Bewohner der Karpaten werden in den folgenden Erzählungen liebevoll
porträtiert. Aber auch die in Städten und Dörfern des
siebenbürgischen Landstrichs beheimateten Vögel hat Ionel Pop
nicht vergessen: „die gelbbauchigen Meisen, die Blaumeisen und die
geschopften Haubenmeisen, Goldammern und verwitwete Schneefinken,
deren Weibchen südwärts gezogen waren.“ Auch der Türkentaube
und der Turteltaube wird gedacht wie auch dem Raben und der Dohle,
die es ihm anscheinend besonders angetan hatte: „Sie rief ihren
Herrn beim Namen: ‚Krta, krta!‘ Sie sagte ‚carne‘, was
rumänisch Fleisch heißt.“ (Weißauge).
Der graue Tod ist den Wölfen
gewidmet. Ionel Pop macht uns auch bekannt mit den Lokalitäten
der faszinierenden Bergwelt und spürt der Musik, die durch so
manches Tal schwingt, nach: „Heiser klang es aus den Kehlen der
Rüden, heller aus jenen der Wölfinnen und der Jungwölfe; langsam
begann das Geheul und langgezogen, stieg vom dunklen Baß immer höher
hinauf bis in den spitzen Diskant, um dann, von kurzem Gekläff
unterbrochen, mit einem verlöschenden Seufzer abzuklingen.“ Als
wollte der Autor dieser Sequenzen den Komponisten dieser Welt
zurufen: Kommt, und lauscht den Urquellen der Töne und formt eure
Musik daraus. Es klingen aber auch realistische Töne bei Ionel
Pop an: „Meines Wissens und meiner Überzeugung nach, greifen
Wölfe – zumindest die bei uns lebende Art, sei es ein noch so
großes Rudel und seien sie noch so ausgehungert – einen lebenden
Menschen niemals an.
Ja, ja, die Liebe, sie ist in der
freien Natur genauso faszinierend wie in den Häusern der Menschen.
Wenn der naturbesessene Ionel Pop „das Balzen der Auerhähne
von ihren Plätzen im Frumoasa-Tal hörte und den großen schwarzen
Vogel zwischen den Ästen der uralten Fichte umherfliegen sah,
überkam es [ihn] wie ein Märchentraum“. Wen
wunderts, wo er dieses Naturschauspiel doch mit Der schwarze
Ritter überschreibt, um ihm dann bei aller Hochachtung nicht
gerade das beste Zeugnis auszustellen. „Während der Balzzeit sind
manche Auerhähne total kopflos, und man kann nur sagen, daß sie von
Sinnen sind.“ Also wenn ich so an meine ausklingende Pubertät
denke, ja, dann … Aber gleich nach der Balz liest man dann, dass
„der Auerhahn […] der schlechteste Gatte und Familienvater, den
man sich denken kann“, sei. Macho, kann man da nur sagen.
Was beim Auerhahn die Balzzeit ist,
ist beim Dachs und der Dächsin die Ranzzeit. Das ist eine berührende
Geschichte (Der gute Wirt), die erzählt, wie die Natur sich
vom Menschen vernachlässigte Räume zurückerobert. Ganz persönliche
menschliche Tragik kommt hier leider auch ins Spiel: „Die
Dachsmutter dürfte eine Urururenkelin des Dachspaares von einst
gewesen sein, das damals unser Indianerabenteuer durchkreuzte, als
noch kein Flaum unsere Lippen bedeckte und mein Bruder Matei, der
nach Jahren sein Grab in derselben Gegend finden sollte, sich noch
seines jungen Lebens freute.“
Langschnabel nennt der Autor
die Schnepfe und überschreibt mit ihrem Namen eine Erzählung, so
als wollte er einer sterbenden Kreatur die letzte Ehre erweisen und
gleichzeitig seine Schuldgefühle als erfolgreicher Jäger
übertünchen. Und wie Ionel Pop das im Text umsetzt, ist so
schön, dass es als pure Poesie aufgenommen werden kann: „Es waren
die Augen eines sterbenden Vogels, die mich ergriffen: große,
weitgeöffnete, reglos stille, dunkelbraune Augen von unergründlicher
Tiefe. Eine grenzenlose Trauer, ein Vorwurf ohne Stachel lag darin,
ein unschuldiges Fragen, auf das ich nicht ohne Scham zu antworten
vermochte. War ich es, den sie ansah? Blickte sie in den
Frühlingsglanz, der für sie ins Todesdunkel einging? Sah sie
überhaupt noch etwas? Ich sah jedenfalls, und ich fühlte ...“ Es
war zu spät für den jungen Jäger. Weidmannsheil ist Weidmannsleid!
Gemsen nimmt Ionel Pop wie
Schwarze Perlen an den Berghängen war. Ihr Leben auf und in
den schroffen Felswänden ist eine einzige Waghalsigkeit. Für uns
Menschen ist das nur schwer zu verstehen, für die Gemsen ist dieses
Dasein existentiell. Auch für den Jäger, denn er hat sein Gewehr
nicht geladen. Kein Schuss zum Abschied … Nur tiefe Sehnsucht im
Herzen: „Noch ein Blick auf die Berge ringsum, und scheiden von
dem, was mir lieb ist – unten am Waldrand ein letztes langes
Lebewohl … bis zum nächsten Frühsommer, wenn die Alpenrosen
blühen und die jungen Kitze sich auf der Weide tummeln.“
Erst „wenn der Kuckuck ruft, dann
ist der Frühling wirklich und wahrhaftig da!“, behauptet Ionel
Pop und nennt diesen in die Volkskunde so mancher Region
eingegangene Vogel schlicht Graufeder. Es sind Lebensdaten,
die die Menschen mit dem Ruf des Kuckucks verbinden. Pop erinnert in
dieser Naturbeschreibung an einige von ihnen: „Die Dorfmädchen
horchen gespannt auf den neuen Ruf, um ihre Wartejahre bis zur
Hochzeit an den Fingern abzuzählen.“ Und auch der Greis legt „die
Hand ans Ohr, um aus der Zahl der Rufe die Jahre zu erfahren, die ihm
noch geblieben sind.“
Einer Märchengestalt ähnelt das
Hermelin: nämlich dem Schneewittchen.
Ionel Pop
fragt uns Leser, ob wir „das Hermelin in seiner ureigenen Welt“
je gesehen haben. Wohl die wenigsten von uns. Darum war
wahrscheinlich nicht nur ich überrascht, als ich erfuhr, dass unser
Schneewittchen
eigentlich ein wieselflinker Blutsauger ist. Also diese mit flinker
Feder geschriebene Naturerzählung passt wirklich zu den
Dracula-Geschichten. Nur dass sie nicht der Sagenwelt entstammt,
sondern real ist.
Die Giftspritze
heißt eine Erzählung. Ganz lustig. Sie lässt uns in die Seele von
Stadtmenschen blicken, die schon beim Erwähnen einer Kreuzotter
Reißaus nehmen.
Dann
trifft man in diesem Buch mit den fabelhaft geschriebenen
Tiergeschichten auch noch auf ein Haubentaucherpärchen, dass die
Aufmerksamkeit des Autors gefesselt hat. Das
sind Vögel, Wandervögel, die gerne fliegen und schwimmen, aber
nicht gerne an Land gehen. Sie sind in ihren Lebenselementen Luft und
Wasser so schnell und zielsicher unterwegs, dass Ionel
Pop sie als Das
lebende Torpedo apostrophiert.
Kleine Freundschaften
schließen den Reigen der hier veröffentlichten Tiergeschichten. Die
Annäherung einer Maus ohne Artenanhang, also eine Single-Maus, und
des Ich-Erzählers. Das ist Spannung pur, obwohl doch gar nichts
passiert. Das gleiche gilt für des Autors Begegnung
mit einem Teichrallenpärchen.
Hilfreich
ist die am Ende des Buches veröffentlichte Erklärung der
Weidmannsausdrücke.
Wer weiß nämlich schon, was
eine Branke ist oder ein Geheck, ein Gescheide oder eine Sasse und
vieles
mehr.
Anton Potche
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