Montag, 19. August 2024

Jugendjahre in Jahrmarkt

Das Dorf Jahrmarkt im Banat hatte nicht viele dort geborene Schriftsteller. Mit Franz Frombach (1929 - 1999) und Marianne Ebner (1920 - 2007) war diese Kultursparte in der alten Heimat eigentlich abgedeckt. Dazu kommen noch zwei damals hinzugezogene Literaten: Aegidius (auch Egidius) Haupt (1861 – 1930) und Hans Pape (1919 – 2009). Zählt man die aus Jahrmarkt stammenden und heute in Deutschland lebenden Literaten (Autoren & Kritiker & Feuilletonisten) Luzian Geier (*1948), Peter Grosz (1947 - 2024) und Katharina Kilzer (*1959) sowie den vor einem Jahr in Erscheinung getretenen Romanautor Mathias Kaiser (*1959) dazu, so kann man das einerseits rein zahlenmäßig bei ca. 5000 Einwohnern als bescheiden und andererseits in Anbetracht der nicht besonders literaturaffinen Landbewohner als durchaus guten Schnitt darstellen.

Berta Kácser
FotoQuelle: Verlag marsTT
Neulich las ich in einer Zeitung aus dem Jahre 1903 von einer weiteren Schriftstellerin, die einen Teil ihrer Kindheit und Jugend in Jahrmarkt verbracht hat. Leider wurde der Artikel zum Anlass ihres Todes verfasst. Sie hieß Berta Kácser und erblickte am 12. Juni 1860 in Temeswar das Licht der Welt. Auch ihr Mann, Leopold Kácser (1853 - 1939) war ein anerkannter Schriftsteller. Das sehr produktive Ehepaar hat viel zusammengearbeitet. Da beide auch oft unter dem gleichen Pseudonym schrieben, kann man einige ihrer Werke bis heute nicht dem richtigen Verfasser zuschreiben.

Mag. Dr. Susanne Blumesberger von der Universität Wien hat sich eingehender mit Berta und Leopold Kácser befasst. Ihre Forschungsarbeit hat sie unter den Titel Berta Katscher – Einblicke in ihr Leben und Schreiben gestellt. Kácser ist die ungarische Schreibweise von Katscher. Es gibt noch andere ungarisch gefärbte Schriftarten dieses Namens. Schließlich lebte sie in der Zeit der Magyarisierung. Sie war aber keine regional festzumachende Persönlichkeit, sondern eindeutig eine Weltbürgerin. Ihre Jugendjahre verbrachte sie in Ungarn, der Türkei und in der Herzegowina, um nach ihrer Heirat in London, Berlin, Baden bei Wien, Wien und Budapest zu leben. Also eine Kosmopolitin par excellence. Das kann man nicht nur aus ihrer Biografie sondern auch aus ihrem Œvre schließen. Sie hat journalistische Texte, Reiseberichte, Buchkritiken, Übersetzungen aus dem Englischen und Ungarischen, ethnographische Skizzen und andere Feuilletonbeiträge hinterlassen.

Roman von
Berta Katscher
FotoQuelle: WIKIPEDIA
Auch belletristische Arbeiten gehören zu ihrem Gesamtwerk: Humoresken, Novellen, Erzählungen, Kindergeschichten und ein Märchen. Zwischen 1882 und 1894 hat Berta Katscher in mehr als 76 Zeitschriften veröffentlicht und drei Bücher geschrieben, wobei sie sich auch der Pseudonyme Ludwig Ungar, Albert Kellner, Ludwig Kölle und Ludmilla Kölle bediente. Die Germanistin Susanne Blumesberger schreibt ihr 121 Beiträge verschiedener Gattungen zu und analysiert eine Reihe von Texten, meistens kurze Prosa, die in Zeitschriften und Anthologien erschienen sind. So erfährt man auch, dass in dem Aufsatz Die Schwaben im Banat von „schwäbischen Bräuchen“ die Rede ist.

Eine besondere Bedeutung misst Susanne Blumesberger der Beziehung zwischen der Familie Katscher und der Pazifistin, Friedensforscherin, Schriftstellerin und erste Friedensnobelpreisträgerin überhaupt (1905), Bertha von Suttner, bei. „Bertha von Suttner war Rednerin und Teilnehmerin an allen Weltfriedenskongressen, in internationalen Diskussionsforen und interparlamentarischen Konferenzen“, schreibt die Literaturwissenschaftlerin.

Es gibt in Berta Katschers Schriften auch Texte, die einen lesenden Banater Schwaben unschwer an die Weite der Banater Heide, die auch eine gewisse Sehnsucht nach Ferne impliziert, denken oder sich erinnern lassen. In der Erzählung für Kinder Guck-in-die-Welt, ist zum Beispiel die Rede von Jancsi (Hansi), der „in einer einfachen Bauernfamilie mit zahlreichen Geschwistern im Flachland Ungarns“ aufwächst. In der Erzählung Die Lebensretterin „ist das Stadtkind Elschen zu Besuch bei seinem strengen Onkel am Bauernhof und verübt dort zahlreiche Streiche“.

Das sind eigentlich Indizien dafür, dass Berta Katscher das Leben auf dem Lande um Temeswar kannte. Und wenn ich jetzt Susanne Blumesbergers Forschungsarbeit verlasse und mich dem eingangs zitierten Artikel aus der Temesvarer Zeitung vom 19. September 1903 zuwende, dann fühle ich mich in dieser Annahme bestätigt. Da kann man anlässlich Berta Katschers Tod nämlich lesen: „Die Verstorbene war eine Temesvárerin von Geburt, eine Schwester des hiesigen Journalisten Herrn Romulus Kácser, dem aus diesem Anlasse zahlreiche Beileidskundgebungen zugegangen sind. Ihre Jugendjahre verbrachte sie theils hier, theils in Temes=Gyarmatha und Bálincs, wo sie Verwandte und Freunde besaß, die jetzt mit aufrichtiger Trauer die Nachricht von dem Ableben der genialen Frau vernehmen werden.“

Sollten aber jemand berechtigte Zweifel an dem Mädchennamen Bertas, nämlich Katscher, (Vater: Joseph Katscher, Mutter: Therese Blumgrund) und dem ihres Ehemannes, auch Katscher, aufkommen, dem sei die Forschungsarbeit Susanne Blumesbergers empfohlen. Dort heißt es nämlich im 2. Kapitel: „[…] ihr Mann, ihr Cousin Leopold Katscher (1853 – 1939), den sie am 17. Mai 1881 in der Synagoge von Temesvár/Timișoara heiratete, war stolz darauf, eine Schriftstellerin zur Frau zu haben.”
Anton Potche

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