Montag, 14. April 2025

Klein, aber fein

Alexandru Bulucz: Aus sein auf uns – Gedichte; Allitera Verlag, München, 2016, ISBN 978-3-86906-852-7; 64 Seiten; 9,50 EURO.

Klein, aber fein, könnte man zu diesem Büchlein mit 32 Gedichten und zwei Prosastücken, einem Postskriptum-Tagebuch, einem Inhaltsverzeichnis und einer Danksagung an 25 Personen und zwei Literaturzeitschriften sowie mit einem Nachwort sagen. Die Gedichte sind in vier Kapitel aufgeteilt. Das wäre der Aufbau.

Wie fast immer bei Gedichten verhält es sich etwas schwieriger mit dem Inhalt. Da bleibt für den Leser genug Raum zum Interpretieren. Es gibt aber auch klare Hinweise auf die Person Alexandru Bulucz. So zum Beispiel, wenn es in Erinnerungen, Defragmentierungen etwa heißt: „Geboren im Osten, im Westen des Siebenbürgischen Beckens, der Gebärmutter, Eltern Musiker, Vater Gesang und Gitarre, Mutter Hausfrau und schrill ...“

Dem Verfasser des Nachwortes, Referenzreich betitelt, Kristoffer Patrick Cornils, ist aufgefallen, dass in diesen Gedichten viel vom Essen, von der Nahrung überhaupt, die Rede ist. Das wird etwas mit der Erdung des Dichters in der Heimatscholle zu tun haben – wenn er etwa schreibt von den „transsilvanischen Äpfeln“.

Diese für den Leser klaren Bilder werden von Kapitel zu Kapitel aber immer mehr von Sprachgemälden abgelöst, für deren Deutung man sich Zeit nehmen sollte … Um dann vielleicht doch weit weg vom Gedankenlabyrinth des Dichters zu liegen. So gelangt man schon bei Kapitel 4 an, Unter dem Pflaster die U-Bahn-Station, und kann sich in die Tiefen oder Untiefen der deutschen Grammatik begeben: „Die menschliche Bühne / erleichtert / um Eindeutigkeiten, / indem sie nichts gibt oder sich / von links an das Beiwort / schleicht mit einem Un. / Wie aus Sein, / nur aus sein auf uns!“

Off, off, off! Alexandru Bulucz hat in Frankfurt am Main Germanistik und Komparatistik studiert. Ich, sein Leser, habe in Temeswar Textilmaschinenmechaniker gelernt. Wie soll das denn zusammenpassen? Bei Kristoffer Patrick Cornils heißt es lapidar: „Es ist ein Unding, dass ich das Nachwort zu Alexandru Bulucz‘ Aus sein auf uns schreibe. […] Kurz: Ich sah in diesen Gedichten keine Dinge, nichts Handfestes. Sondern Undinge.“ Ja, sag einmal: Muss es das denn überhaupt, das mit dem „Handfesten“? Lass sie doch fliegen, die Wörter … wie Satellitenstücke im Weltall. Das war einmal ein Raumschiff. Frei fliegende Wörter. Das waren einst Sätze, ja ganze Texte. Mutiger Leser, mach dir deine eigenen Phrasen aus diesen umherschwirrenden Wortfetzen. Dann erlebst du diese Gedichte wie vor Jahren der Lyriker, Essayist und Theologe Paul-Henri CampbellDer hat schon 2019 in der ersten Jahresnummer der österreichischen Literaturzeitschrift VOLLTEXT einen nicht an Lob mangelnden Essay über Alexandru Bulucz veröffentlicht. Nach einer eher stürmischen Kindheit – Trennung der Eltern und Auswanderung in die Bundesrepublik, „alleine in den Bus nach Deutschland gesetzt“ - lernt er „die neue Sprache Deutsch, meistert sie virtuos, sodass bereits seine frühesten Gedichte in der Frankfurter Zeitschrift OTIUM zahlreiche Themen und Motive mit einer Wucht zum Ausdruck bringen, die immer jenen expressiven Willen verraten, der mehr von der Dichtung erwartet, als den nächsten Poesiewettbewerb der Reifeisenbank zu gewinnen.“

Gewinnen kann Alexandru Bulucz aber auch. Seinen letzten Literaturpreis, den Deutschlandfunk-Preis, fuhr er 2022 bei den Klagenfurter Bachmann-Literaturtagen ein. Dieses mal nicht für Lyrik, sondern für einen gelungenen Prosatext: Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen. Wie so oft lässt die alte Heimat grüßen.

Anton Potche

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